"Mit
dem Löwenzahn gehen.
Hinaus ins Leben, die Jahre verstehen,
wohin es mich treibt,
mal sehen,
was vom Träumen so übrig bleibt,
mit dem Löwenzahn gehen." (M.)
Ist
man das Produkt seiner Gene, oder ist man das Ergebnis seiner
Umstände? Alles ein Kreislauf, ein Geworfensein in die
Geschichte? Was sind die Parameter, die Stellschrauben, die
man verpasst hat, wo liegen die Kreuzungen, die Entscheidungen,
die man übersehen hat? So sehen wir aus diesen Fragen
unseren Blick zurückschweifen, auf die immer gleichen
Geschichten und jedes Mal beschönigen wir sie ein bisschen
mehr. Haben wir die Ereignisse zu verantworten, oder haben
sie uns zu verantworten?
"We
choose to go to the moon, in this decade and do the other
things, not because they are easy, but because they are hard."
(J. F. Kennedy)
Wenn
man nur hart genug arbeitet, dann wird einen das Leben belohnen!
Man wird schließlich erreichen, wovon man träumt!
"Ohne Fleiß keinen Preis!", lautet
das Leistungsprinzip, das den real existierenden Kapitalismus
möglich machte, und den man schlussendlich selbst bezahlen
muss. Wie verhält es sich mit Ursache und Wirkung wirklich?
Wurde erst das Denken uns gelehrt, das seine Schuldigkeit
getan? Eine Moral im Geiste der Zeit? Seither war von der
Umwertung der Werte eine ganze Zeit lang die Rede, bis sie
niemanden mehr interessierten, die Werte. Eigentlich blieb
nach dem Verlust der Wertigkeit von Werten nichts über.
Und gilt stattdessen in Zukunft: Algorithmus statt Moral?
"Die
Unterscheidung des Guten vom Schlechten ist das Feld der Ethik
- und die Lieblingsbeschäftigung von Priestern, Pädagogen
und Eltern." (Cathcart/Klein)
Also
keine Werte, kein Gut und kein Böse! Also besser der
Algorithmus entscheidet, der binary code schwebt über
uns. Nicht einmal ein Körnchen Wahrheit ist geblieben,
als hätte man sie der Metaphysik hinterher aus dem Haus
getrieben. Wem hat sie denn genutzt? Die Frage lautete stets,
wer war in ihrem Besitz. Wem oblag die Deutungshoheit? Wenn
niemand mehr die Frage stellt nach Gut und Böse, bedarf
es auch keiner Antwort mehr. Eine Revolution bahnt sich an?
Nichts weniger als die Ethik löst sich auf, da sie ihr
angestammtes Betätigungsfeld einbüßt? Die
Vielen schreien auf! Natürlich waren darüber die
Vielen entsetzt, wortwörtlich aus ihrer Zeit der Werte
herausgesetzt. Wo bleibt da die Einzigartigkeit des Einzelnen?
Beruhend auf Authentizität und Ehrlichkeit, auf Identität
und Wahrheit. Jeder im Spannungsfeld zwischen Besonderheit
und Masseteilchen gefangen. Jeder ist besonders, alle diese
Vielen! Stets den Blick des besonderen Einzelnen auf die Allgemeinheit
gerichtet, konnte es nicht ausbleiben, daran irre zu werden.
"Ich
spüre Zerrissenheit und ewiges Streben meines Selbst.
Ich bin gesegnet mit der Gabe, die von meiner hohen Position
herrührt, die mir zuteilgeworden, ohne mein Verlangen.
Sie verhindert mich auf eine Seite zu schlagen, mich auf einem
Land heimisch zu fühlen. Von hoch droben auf dem First
kann ich die alten Fluren überblicken und Lichter der
Stadt schon sehen. Ich kann die derben Sprüche noch vernehmen
und die süffigen Lügen nicht mehr abwiegeln. So
vieles ist mir gegeben, danach ich nicht verlangte. Umso schwerer
trage ich an meiner Bürde. Die hindert mich bereits im
Gehen und verhindert auch, dass ich ruhe. Was kann ich also
tun, als davon zu erzählen? Ja, wem gegeben ist zu sehen,
der möge sprechen: So let me tell you
" (M.)
So
sprangen die einen hierhin, die andere dorthin. Vom Wertekanon
zum Populismus bahnte sich ein kurzer Schleichweg. Man braucht
ja nur etwas Böses zu präsentieren, dann erreicht
man all jene, die seit Zeiten schwanken und denen sich vermeintlich
der Abgrund auftut. Nicht hierhin, nicht dorthin und die letzten
Wertigkeiten dahin. Da spielt es keine Rolle, wo die Wahrheit
liegt, es muss nur endlich einen Unterschied machen, zwischen
Gutem und Bösem! M. ist schließlich ein Kind des
20. Jahrhunderts und in dem galt von Anfang an:
"
den Automatismus der Geschichte und der Weltwirtschaft
darzustellen, jene Mechanik, die das persönliche Leben
erfaßt und es in eine statistische Information verwandelt,
das Individuum in den kollektiven Prozessen zermalmt und reduziert
und die Universalität zum Gesetz der großen Zahl
deklassiert. (
) Das Leben -
- wird von den allgemeinen
Mechanismen bestimmt und zergliedert, ebenso wie das Zusammenwirken
von Strömung und Wind den Kamm der Meereswelle bildet
und wieder auflöst; doch auch dieses - wie jedes, auch
das flüchtigste Leben - verlangt danach, ewig zu sein;
der Tropfen weigert sich unter heftigen Leiden, sich in dem
Meer der gesellschaftlichen Totalität aufzulösen,
zu dem er gehört." (Brunngraber)
Seither
ist das Surfen auch immer mehr in Mode und ist scheinbar zum
letztgangbaren Weg des Individuums geworden, statt zu ertrinken,
die Welle zu reiten, die die Zeitgeistin vor sich herschiebt.
Die Mutter, die manchmal wütet und aufbraust und andermal
streichelt, in der Moderne reichlich unterschätz, bedroht
von der Ratio, verdrängt von der Hybris, eines sich selbstvergötternden
Egomanen. Dabei erscheint sie nur noch als die Vulva, der
man entkommen zu sein glaubt. Englitten zur Freiheit eines
einzelnen Individuums!?
"Ich
bin der Geist jeder Zeit, die Zeitgeistin,
die sich nichts schert um Zeit-Genossen,
die gebiert und verschlingt, was möglich scheint,
und den verzaubert, der sie, zu ergreifen vermag." (Zeitgeistin)
Doch
mittlerweile sagt man uns, die wir langsam vergessen werden,
wir seien Zeugen immerhin! Erwachsen einer analogen Welt um
in eine digitale zu stolpern, wir die Edge Generation, einen
Abgrund der Zeit durch unser Tun überspannend, Zeitzeugen.
Dabei begreift man zum ersten Mal, die rätselhaften Worte,
die da geschrieben stehen: "So werden die Letzten
die Ersten sein, und die Ersten die Letzten." (Matthäus)
Die
Letzten, die die Party verlassen sind die ersten, die den
neuen Morgen erleben. Die letzten Überlebenden im Alten
sind die ersten Ankömmlinge auf dem neuen Kontinent.
Und wieder stellt die Zeitgeistin die Fragen neu. Und wir
erkennen sie als einzige wieder. Die alten Antworten gilt
es neu zu erfinden! Wenn die einen nicht mehr allzu ernst
nehmen müssen, was die Alten noch behaupten und diese
nicht mehr davon leben müssen, wovon die Neuen ihnen
vorsetzen, dann sind wir mitten dabei, da sich zwei unvereinbare
Weltauffassungen von Generation zu Generation abermals langsam
miteinander verschleifen, da zwei Kontinentalplatten sich
beschleunigt ineinanderschieben, und weil sie sich keine Zeit
lassen zum Vergehen, entstehen Risse und Verwerfungen, die
wir mit Inkommensurabilität und Scheitern bezahlen. Dann
geht Generation über Generation hinweg, und wir sind
nurmehr Zeugen. Die Bilder in unseren Augen, die Sätze
in unseren Ohren, die Schüsse und Schreie, die Tränen
und der Jubel in unseren Herzen. Unsere Köpfe sind voll
und wir kriegen sie nicht frei ohne zu bezeugen. Als die letzten
der analogen Welt und die ersten einer digitalen Welt.
"Wenn
die digitale Zukunft unsere Heimat sein soll, dann liegt es
an uns, sie dazu zu machen." (Zuboff)
Bleibt
da nichts, was man eine "echte" Welt bezeichnen
könnte? Das Ende der Rationalität, das Ende der
Exaktheit, von Wissenschaft im alten Sinne? Dafür sind
wir Zeugen der ersten Art, die im Laufe ihres Lebens mehrfach
aufge-fordert werden Antwort zu geben, die mehrfache Zukunft
genießen. Die mindestens zweimal Hoffnung schöpfen
müssen, wollen sie nicht kapitulieren oder krepieren;
die Wildrosen, beigesetzt auf dem Friedhof des unbekannten
Querulanten. Müssen wir Freiheit und Aufrichtigkeit,
Authentizität und Ehrlichkeit, Wahrhaftigkeit und Wahrheit,
ja Menschlichkeit neu denken und gar neu erfinden? Entwerten
und verraten wir damit nicht die alten Kämpfer und Opfer
für eine gerechtere Welt? War alles vergeblich, oder
ist es endlich aller Ehren wert? Solange wir - die Edge-Generation
- bezeugen?
Wir
sind die Vielen, aber wir spüren es nicht! Niemand
spricht von uns. Verausgabt, ausprobiert und erschöpft
stehen wir erneut vor dem Labyrinth. Es steht immer offen
für Gestaltung und Veränderung - eine Zukunft "Digital".
Wir erklimmen den digitalen Baum der Erkenntnis!
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