M.
ÜBERLEBT SEINEN SUIZIDVERSUCH! HAT ER DEN TEUFEL ABGESCHÜTTELT
ODER LAUERT DER TEUFEL AUCH IN SEINEM NEUEN LEBEN?
Personen
Songs
M.,
The Devil
20A.
Reprise
Ich
rief M. am nächsten Morgen noch einmal an. Mir ließ seine
stumme Mimik der Verzweiflung keine Ruhe. Und ich wollte ihm
ein Angebot machen, das ihm helfen sollte auf andere Gedanken
zu kommen. Als er an diesem Morgen endlich ans Telefon ging,
war er extrem wortkarg und man konnte erahnen, dass er eine
schlimme Nacht hinter sich hatte.
Er
brachte kaum ein Wort heraus und mir war gar nicht klar, ob
er mich überhaupt richtig verstehen konnte und ich fragte
ihn: "Hast Du getrunken?" Irgendwann murmelte er, letzte
Nacht sei ihm eines ganz klar geworden: "Der Pakt war der
Fehler! Ein einziger Fehler! Verheerend für mein Leben!"
"Wovon sprichst Du?", hakte ich nach. Doch
nun sei Schluss damit, sagte er, er werde jetzt diesen Pakt
auflösen! Beenden ein für alle Mal! Jetzt, da er ihn erkannt
hätte, könne er es und müsse er es tun! Ansonsten beginge
er "Verrat an der Zweiten Chance!", wie er meinte.
"Es war gut, das vermeintliche Paradies zu zerschlagen.
Aber nur ein erster Schritt. Mit der Zerstörung meiner vermeintlichen
Sicherheit hätte ich nicht zögern sollen! Neuen Mut hätte
es gebraucht!"
Nachdem Ich M. aufmerksam zugehört hatte, unterbreitete ich
ihm das Angebot, und er fragte nur ungläubig wie in Trance:
"Eine Theatergruppe?" "Es wäre eine Aufgabe, dachte ich, eine Herausforderung
tät Dir vielleicht gut?!"
Ich erläuterte näher, wie ich gedachte, ihm in unserer Theatergruppe
einen Platz einzuräumen. Er war ja schließlich gelernter Schauspieler,
er wäre bei uns der einzige seines Faches gewesen. So versuchte
ich ihm die Entscheidung auch noch schmackhaft zu machen.
Zuerst klang er gar nicht abgeneigt, da er spontan begann
alles zu durchdenken, dennoch zögerte er und verlangte schlussendlich
Bedenkzeit. Ich schlug ihm vor, er könne jederzeit, wann immer
er soweit wäre, bei einer unserer Proben vorbeischauen. "Wir beginnen gerade erst mit der Arbeit an einem neuen
Stück", erklärte ich ihm, "Besorge Dir doch die Lektüre,
dann kannst Du sehen, ob Dir der Stoff gefällt."
Zum Abschied hörte er sich noch zuversichtlich an und erkundigte
sich rasch noch nach dem Titel des Stückes und ich sagte ihm:
"Das Stück, das wir spielen wollen ist ziemlich neu, es
heißt Lifealbum."
Mit einem Mal war die Leitung wie tot. Ich wartete geduldig
und hielt den Atem an, um doch noch eine Reaktion erhaschen
zu können. Er durchbrach die Stille und sagte leise: "Es
tut mir leid. Ich kann nicht!" - Dann hörte ich nur noch,
wie er sich übergeben musste.
»Reprise«
M.,
Betula, The Devil, Captain Clio
20.
While
The Times Are Changing
Das
Telefon klingelt. Die Fliegen feiern ein Fest auf den Resten
der Nacht. M. liegt am Boden seines Arbeitszimmers, in dem
er sich letzten Abend eingeschlossen hatte. In der Absicht
der Welt nun für immer den Rücken zu kehren, hatte er die
Jalousien geschlossen, die Vorhänge zugezogen, die Fensterläden
verriegelt. Dem Zustand seines Zimmers nach zu urteilen, muss
es eine zügellose Nacht gewesen sein. M. versucht angestrengt
die Fliegen, die um ihn kreisen zu verscheuchen. Als er sich
zwingt, seine Augen zu öffnen und er ins Licht blinzelt, das
durch ein Loch im Fensterladen genau zu ihm einen Sonnenstrahl
durchlässt, erkennt er die Schemen einer Hand. Eine Hand die
soeben eine Wasseroberfläche durchstößt. Sie greift durch
gallertartiges Nass gezielt nach ihm und packt seinen Arm.
Sie zieht ihn nach oben, immer weiter bis gen Licht. Die Erinnerungen
sind noch nicht bei ihm. Er erwacht. Am Meeresboden zwischen
den Frackteilen seines Lebens? Er weiß nur instinktiv, es
ist das der erste Tag in einem "neuen" Leben.
Das
Telefon klingelt. Er geht ran und hört, wie durch Watte gedämpft,
die warme Stimme von Betula. Er hätte nicht erwartet, dass
sie ihn nach der gestrigen Fahrt noch einmal kontaktieren
würde. Es tut gut ihre Stimme zu hören. Lange lauscht er ihren
besorgt klingenden Worten, obgleich man merkt, dass sie sich
bemüht geschäftlich distanziert zu klingen. M. ist selbst
noch kaum in der Lage zu kommunizieren. Als Betula schließlich
das Lifealbum erwähnt, schießt es ihm feurig heiß die
Kehle hoch. Der Kopf, die Nacht, das Spiel, der Traum, alles
ist plötzlich zugleich präsent. Alles ist reine Erkenntnis
und ihm entweicht in dem Moment die letzte Spur aller unheilsamen
Überzeugung. Der Pakt darf nicht länger Gültigkeit behalten!
Er kann nicht antworten, ihm kehrt sich sein Inneres nach
außen.
Er
weiß nicht mehr, ob er den Telefonhörer noch aufgelegt hat,
er weiß nur er ist frei, endlich! Ihm ist nach einer Runde
schwimmen, noch ehe er realisiert, dass es Herbst ist und
eine dicke Schicht Blätter auf dem Wasser des Gartenpools
schwimmt. Als könnte ihn nichts beirren, zieht er dennoch
mit Ausdauer seine Bahnen, geradewegs durch die Schicht welken
Laubs, die er mit kraftvollen Zügen teilt. Wie in Trance durchlebt
er seine Bewegungen, Zug um Zug macht er Schluss mit den Lügen
des bisherigen Lebens. Der Kopf wird klarer und klarer. Er
hält durch, ist gnadenlos zu sich selbst.
"Nein nicht schon wieder! Lass Dir Luft zum Atmen", denkt
er oder hörte er es? Er hechtet auf den Beckenrand.
"Captain Clio? Bist Du es?"
"Wer sonst?"
"Ja, ich lass mir Luft zum Atmen! Ich bin nun frei!"
"Diesmal sollte es gelingen!"
In tiefen Zügen holt M. die kühle Herbstluft in seine Lungen.
Mit einem maßlos tiefen Atemzug, als wolle er die Welt aufsaugen.
»While
The Times Are Changing«
M.,
The Many, The Devil, Captain Clio
21.
Poor
People´s Philosophy
"Leben wir nicht in einer besseren Welt, als noch unsere
Großeltern? Wir müssen nicht hungern, wir können frei wählen.
Wir müssen uns nicht beugen und können unsere Stimme erheben.
Unsere Kinder müssen nicht mehr fürchten, von ihren Lehrern
geschlagen zu werde, von den Eltern beschimpft und von Aufsehern
vor anderen erniedrigt zu werden! Gibt es nicht erwiesenermaßen
so wenige Kriege auf unserem Planeten, wie noch nie? Und doch
machen die wenigen uns mehr Angst? Haben nicht Generationen
dafür gekämpft die Möglichkeit zu haben, alles in unserem
Leben selbst zu bestimmen? Tun wir es! Haben wir wirklich
so oft falsche Entscheidungen getroffen? - Nein, nur zu oft
haben uns der Mut und meist auch die anderen verlassen. Ihr
müsst nicht länger glauben, was man erzählt! Ihr müsst nicht
tun, was ihr tun sollt! Ihr braucht nur zu tun, an was ihr
glaubt!"
Das nun war seine Ansage! Dann kreischten die Gitarren los
und donnerte der Bass, angetrieben von Schlagzeug und dem
Toben der Vielen.
Er
hatte Betula in jenem Moment nur absagen können. Ihm war nicht
wirklich eine Wahl geblieben, zu überwältigend waren ihre
Worte für ihn zu jener Zeit. Natürlich war es ein wunderbares
und einfühlsames Angebot, das sie ihm da unterbreitet hatte.
Worüber er sich allerdings nicht im Klaren war: Hat er ihr
immer noch nicht verziehen?
Gleich darauf fasst M. den Beschluss alte Freunde aufzusuchen
und ehe er sich versieht, tingelt er schließlich mit den Kumpels
seiner Jugendtage als Coverband mit den Hits seiner Jugend
durch die Lande. Ein langgehegter Wunsch erfüllt sich. Es
war ein zaghaftes Greifen nach einer sehr alten Illusion ein
Rockstar zu sein. Konnte die Illusion noch tragen? War er
mittlerweile nicht resistent gegen Illusionen und Ideologien
und großen Wahrheiten im Allgemeinen? War das alles noch wichtig?
Die vielen Abende in den Clubs und Kneipen zeigen Wirkung,
allein weil M. so wieder unter die Menschen kommt. Er selbst
hat nicht mehr daran geglaubt, noch einmal das Gefühl der
Gemeinschaft erfahren zu dürfen. Jetzt und heute war seine
Tour mit der Band eine Tour in die Köpfe der anderen. Sie
waren die Vielen und die Musik verband sie und tröstete sie
gleichermaßen, auch wenn jeder seinen unsichtba-ren Rucksack
mit Problemen mit sich herumtrug, aus dem jede einzelne Hölle
hervor lugte. Allabendlicher Rausch der Einheit unter den
Verschiedenen lässt endlich seine Seele an Ruhe denken. Die
Erschöpfung nach seinen Konzerten trägt dazu bei und wird
von M. als Erfüllung empfunden. Das Alter steckt in den Knochen,
aber man kann damit gut oder schlecht leben, und zu musizieren
ist ihm immer noch ein Lebenselixier! Diese Freude von der
Bühne an sein Publikum zu vermitteln beschert ihm mehr als
die kärgliche Gage, es ist ihm der langverwehrte Friede.
Es ist einer der größeren Auftritte im legendären Sting-Club.
Seine Band ist durchaus schon ein Begriff in der Region und
der Stadt. Und der Abend scheint sich zum Besten zu entwickeln,
als ihm im größten Moment der Freude klar wurde: Es ist noch
nicht vorbei! Es war das Summen und Vibrieren, die glühenden
Hörner in der Masse. Und ihm war klar: Es ist nie vorbei!
Konformität und Banalität lauern stets da draußen zwischen
den scheinbar Harmlosen und Belustigten, den Betrunkenen und
Berauschten! Und sie lauern Dir auf, dich zu betören mit einfachen
Wahrheiten und simpel gestrickten Illusionen. M. versuchte
Gesichter in der Menschenmasse vor ihm auszumachen, doch sie
begannen seinem Blick auszuweichen. Sie begannen zu leuchten
und sie erschienen ihm auf einmal leer und durchsichtig. Alles
vibrierte und waberte, er kann in diesem Moment genau sehen,
wie seine Worte durch die Köpfe jedes Einzelnen hindurchgehen,
um schließlich in der stickigen Saalluft zu verpuffen. Es
ist ein rundum gelungener, ja eigentlich perfekter Auftritt
seiner Band und ihm, M. als Frontmann. Niemand ahnt seine
Ängste. Die Gebrüder der Ablenkung treiben munter ihr Unwesen,
das hat er begriffen, und die Vielen sind ihm keine Hilfe.
Alle reden von dem, was sie immer reden! Tun, was immer sie
tun sollen! Mutlos sind sie! Ohne sich beweisen zu müssen
und ständig darauf zu insistieren, aus der Menge herauszuragen,
einzigartig ohne herausragend zu sein, etwas Besonderes, in
einem anderen, einem privaten Sinne.
»Poor
People´s Philosophy«
22.
Hit
My Mind
M. flieht geradezu nach dem Konzert in sein Hotelzimmer. Dort
stehen sie immer parat, seine gut bekannten, kleinen Helferlein
in der Minibar. Und auch die Experten und Coaches rufen ihn
wie selbstverständlich an. Sie wollen gratulieren. Sie beglückwünschen
ihn. Sie würden stets helfend zur Seite stehen. Mit Rat und
Tat stehen sie bereit, um auf ihre Kosten zu kommen. "Nein!
Nein!", M. bricht zusammen, fällt auf seine Knie, "Wieder
diese Erwartungen. Sie tun immer noch alles, aus mir einen
Leistungsträger zu machen, einen gehetzten seiner eigenen
Erzählung! Sie ficken mein Gehirn!"
Niemals würden sie das so sehen oder zugeben, vielmehr hören
sie nicht auf, zu beteuern, M. zu einer einzigartigen Karriere
zu verhelfen. Wie eben allen anderen und somit niemandem?!
Sondern alle zu dauergrinsenden ewig gutgelaunten Verhaltensrobotern
machen, die im Mainstream paradoxerweise permanent ihre Ellbogen
gebrauchen, um voranzukommen. Douglas Coupland schreibt, "wahrhaft
moderne Menschen sind charismatisch und reagieren nur auf
ebenfalls charismatische Menschen. Um zu überleben. müssen
wir Charisma-Roboter werden, die sich selbst zur Marke stilisieren."
Ja,
was suchten und suchen sie noch immer - die Traum-Doktoren
in M.´s Kopf? Womit schlagen sie seinen Verstand? Dass er
sie nicht überstimmen kann, sie aber auch nicht vermag loszuwerden,
wann ist damit ein Ende erreicht? Sie berauben M. seiner Träume,
wie einst die Musiklehrer ihm einredeten, er solle die Finger
von der Musik lassen. Wie seine Eltern ihm abrieten etwas
mit der Musik anfangen zu wollen. Dabei ist er noch heute
so froh wieder zur Musik gefunden zu haben. Sie ist tatsächlich
noch da, sie hat auf ihn gewartet und M. will sie nie wieder
aufgeben. "Long live Rock ´n´ Roll - till the day I die!"
Aber ebenso sind SIE noch da, all die Traumdoktoren, die M.
als den planlosen Träumer, wohl niemals ernstnehmen werden.
Sie wetzen noch immer ihre Skalpelle, um den Dreamer, den
Spinner endlich zur Vernunft bringen! Auf dass auch er endlich
eine vorzeigbare Biografie bekomme! "Worin besteht die
Geschichte Deines Lebens?", fragen sie. Episode reiht
sich an Episode, Versuch folgt auf Versuch folgt auf Irrtum!
Sie werfen M. vor, nie einen Plan für sein Leben gehabt zu
haben. Ist das vielleicht seine Schuld? Ein ewiges Ausprobieren
sei das gewesen!?
Ja,
das kann ein Leben sein! Vielleicht ist es sogar die Quintessenz
des Lebens: Machen - Ausprobieren. Das macht sich nicht gut
im Lebenslauf! Da wünsche man sich schon gerne einen Anfang,
ein Ziel und einen würdevollen Abgang mit allen Ehren, sagen
sie. Heute braucht schließlich jeder seine Autobiografie,
weil er selbst kaum erkennen kann, welche Erzählung sich hinter
seiner Existenz verbergen mag.
Nun
ja, Gott ist tot, was will man machen?! Schade nur, dass man
die eigene Biografie nach dem Ableben nicht noch einmal korrekturlesen
und redigieren kann, um aus dem Stückwerk noch etwas Rechtes
konstruieren zu können! So möge man sich doch zeitnah einen
roten Faden ins Lebensalbum weben lassen. Die Ignoranten und
ewig Gestrigen haben einfach nicht gesehen, dass es M. ins
Lebensbuch geschrieben ward, alles stets aufs Neue selbst
zu verhandeln! Anstrengend gewiss, - es gab schließlich keine
Vorgaben! Stattdessen hieß es, man kann alles revidieren:
Familie, Religion, Geschlecht, Moral, Ehe, Sex, Gemeinschaft,
Natur, soziale Beziehungen, politisches Engagement, Karriere,
alles egal! Doch tue stets das Richtige! Du kannst alles werden,
also versage nicht!
Und
an dieser Stelle beginnt es wieder, das Karussell nimmt Anlauf.
Noch ein Helferlein auf Ex! Die Gedanken nehmen wieder ihre
Fahrt auf, das Karussell ist nicht mehr zu stoppen; die dauerhafte,
unausweichliche Wirkung der Gehirnwäsche der Modernen. Und
ihr einziges Hilfsangebot: Drogen. Sie haben seinen Verstand
geschlagen, sein Selbstvertrauen ist nachhaltig misshandelt
und die Narben wird er sein Lebtag nicht wieder los. M. bleibt
nur zu weinen, ohne jedes Gefühl. Die Nacht nimmt kein Ende.
Die Minibar ist wieder ein Mal leer, der Pay-TV-Sender überstrahlt
alles mit endlosen Werbespots. Die Nacht nimmt kein Ende,
Mr. MTV nimmt ihn in wieder einmal fürsorglich in seine Arme
und begrüßt ihn zuverlässig: "Let me introduce myself!"
23a.
A Dr. Robot Commercial
"Sie fühlen sich nicht gut? Sie fühlen sich
gar ein bisschen schlecht?
Kennen Sie die Gesetze der Evolution? Nein? Dann lassen Sie
mich Ihnen sagen, die Erfindung des Menschen wird sicherlich
noch einmal erfolgreich sein. Es wird uns abermals einen Schritt
vorwärts bringen.
- die einzige Richtung, die die Menschen je gekannt haben.
Optimismus ist ihr Treibstoff in Herz und Verstand. Sogar
jeden Schritt zurück nennen sie einen großen nach
vorne. Hoffnung heißt das Schiff, das sie zu neuen Küsten
bringt. Und Blindheit ist dabei ihre Gunst, wissen Sie?
Auch ihr Projekt "Neue Menschlichkeit" -
auch "New Manity" genannt - wird alles schützen,
was sie nach vorne bringt, wie digitale Computer, digital
verbesserter Körper und Geist - gemacht von Dr. Robot.
Nicht länger Jesus Christus oder Mahatma Gandhi, Buddha
oder Mao sind Reformer unserer Gesellschaft, sogar Gott ist
seit langem tot.
Das Zeitalter des Individualismus ist vorbei. Die Zeiten der
Individuen sind vorbei. Das Reich des Individualismus konnte
nur kurz sein: Die Ver-schwendung war zu groß - wie
schon Nietzsche wusste.
Dasselbe für alle und Glück für jeden wird
heutzutage nicht mehr von Philosophen festgelegt. Sie werden
vom Statistischen Zentrum bestimmt.
Konformismus statt Individualismus! Algorithmus statt Moral!
Aber sicher und effizient!
Freuen Sie sich auf Dr. Robot! Dr. Robot bringt Euch "M.".
Die "Neue Vielheit", um endlich die digital basierte
Gesellschaft für robotergestützte Körper und
Gehirne zu erreichen: Bitte einstecken! Dr. Robot bringt Dich
in die Zukunft!"
Gleichheit statt Gerechtigkeit - Algorithmus statt Moral.
Lebe Dein kontrolliertes Leben bei Dr. Robot! "Save and
efficient - No risc, but fun!" Ist das der Todeskampf
fordistisch-tayloristischer Produktionsprozesse und der Niedergang
einer "Wohlstand durch Arbeit"-Welt? Die Technik verdrängt
die Wissenschaft. Das Smarte überholt die Mühen. Ist deshalb
die Zukunft eine Dystopie? Keineswegs. Der "Neue Mensch"
lebt - wie immer - in einer besseren Gesellschaft! Diesmal
ohne bedrückende Individualität, anstrengende Freiheit und
kraftzehrende Selbstoptimierung! Wir stöpseln uns ein, wir
hängen ins an den Tropf und erleben nur noch gute Momente.
"Plug in at Dr. Robot - You get what you want!", steht
auf dem Schild über dem Eingangstor, wie auf allen Logos,
mit denen Dr. Robot das Land überschwemmt. Man muss echt Glück
haben, wenn man heute noch auf Filme zwischen den Werbeblöcken
stoßen will! Oder ist es mittlerweile das Gleiche?! Alles
ein Strom, der auch genau so unmittelbar in die Synapsen gespeist
werden kann, dass er von einem Traum nicht zu unterscheiden
ist. M. erwacht, fühlt sich erschöpft. Es ist heller Vormittag
und Mr. MTV redet immer noch ununterbrochen. Der Schlaf hatte
ihn während des TV-Nachtprogramms übermannt. Er kann kaum
unterscheiden was Traum und was Werbung, Bericht oder Dokumentation
ist. Gibt es Dr. Robot schon wirklich, oder will ihn da nur
wieder jemand abzocken? Man muss vorsichtig sein mit der Wirklichkeit.
Aber sie haben doch eine Telefonnummer eingeblendet. Die Zukunft
hat begonnen. M. weiß nicht, ob er sich freuen soll, aufgewacht
zu sein. Aufwachen ist sowieso das Schlimmste. Lieber für
immer im Uterus schweben. Vielleicht liegt im Zurück woher
man gekommen ist, die Glückseligkeit? Der wahre Kreislauf
des Lebens. Die lockende, beschützende, umsorgende Welt des
Dr. Robot ist der Weg dorthin zurück?
23.
Dr. Robot
Was, wenn es dort eine ewige Glückseligkeit gibt? Irgendwie
fühlt sich M. jetzt bereit die vollkommene "Neue Welt"
des Dr. Robot zu betreten. Endlich vielleicht doch Glück ohne
Reue, ohne Ende? Sind wir nicht irgendwie dafür gemacht? Frieden
und Freude ein Leben lang? Endlich die Ruhe erlangen, Zufriedenheit
durch Technik? Wir haben den Boden bereitet, die Daten gesammelt.
Und nun kein Zurück! Ist das vielleicht der Verdienst seiner
Genration? Seiner Generation! Vielleicht ist die Welt, schon
immer die Welt, die wir uns erträumen, eine "Neue Welt", die
von uns selbst entworfen und konstruiert ist? Wenn Gott tot
ist, wäre das nicht sehr abwegig. Ja vielleicht sogar die
einzig zulässige Schlussfolgerung!? Wir haben sie schon sooft
gesucht, die "Neue Welt": Auf fernen Kontinenten, auf dem
Grund des Meeres, auf den Gipfeln der Berge, auf dem Mond,
im Universum, in fernen Galaxien; dabei liegt das Fremde in
uns selbst! Wir sind tatsächlich unseres eigenen Glückes Schmied!
Unser Geist, der uns mit dem rechnen lässt, was auch immer
wir uns erdenken. Wir sind uns so fremd, dass die Aufforderung
"authentisch zu sein" nur noch eine bedeutungslose Hülse ist.
Wir sind die Summe unserer Konstruktionen und unser Handeln
resultiert aus dem, was wir darin erkennen. Die "Neue Welt"
liegt immer schon in unserer Realität!
Aus den von uns geschöpften Daten, kreiert Dr. Robot nun seine
Welt, auf dass wir nie mehr gelangweilt würden! Aus unserem
Wissen und unseren Daten, unserem Tun und unserem Lassen,
sprießt er endlich, der Digitale Baum.
Dass die Zukunft nicht über eine gerade Linie erreichbar sein
würde, die von unserer Mitte hinaus reicht ins All, sondern
nur nach einer existentiellen Trennung der Zukunft von der
Vergangenheit, in uns selbst vorzufinden ist, wissen wir nun.
Der Strahl in die Zukunft ist gekrümmt. Er fällt immer wieder
auf uns zurück. Unsere Wahrheiten bleiben dabei nicht weiter
Wahrheiten, sondern sie mahnen uns stets abzutöten, was wir
davon in uns tragen. Denn stets lockt die Versuchung des Neuen:
"Willkommen in der Zukunft! Willkommen in der "Neuen
Welt" des Dr. Robot!
Dir geht es nicht gut? Du fühlst Dich nicht wohl? Rufe nach
Dr. Robot!
Und dir wird geholfen! Befreit von den Mühen der körperlichen
und seelischen Schmerzen, schlechten Stimmungen und Gedanken!
Grübeln? Denken? - Wozu?
Alles nur sentimentale Relikte einer kritischen, längst überholten
Epoche!
Dr. Robot verfügt in seiner Daten-Welt der enhanced bodies
und des Ewigen Lebens über jeden Kniff, den die Technik zur
Verfügung stellt.
Rufe Dr. Robot und Dir stehen bedeutend mehr als eine "Neue
Welt", nämlich die "NewManity" offen, von der WIR, die Vielen,
schließlich einmal geträumt haben! Für die WIR einmal selbstlos
angetreten sind! - Für die Menschheit!"
"Endlich!
- Beam me up!", schießt es M. noch durch den Kopf, da
hält er schon die Fernbedienung fest umschlossen und wählt
… und wählt ... und wählt … und fällt in tiefen Schlaf ...